Nachruf Prof. Dr. Hans-Heinrich Thiemann / Halle (Saale)
Am 3. Januar 2025 verstarb der langjährige ehemalige Leiter der Kinderradiologie in Halle (Saale), Herr Professor Hans Heinrich Thiemann im Alter von 96 Jahren.
Hans-Heinrich Thiemann, geboren in Südamerika, begann seine Tätigkeit als Kinderarzt und Kinderpulmologe in Rostock. Die Tuberkulose war dort zunächst sein Haupttätigkeitsfeld. Er war in Rostock - und später in Halle - einer der Pioniere der starren Narkose-Bronchoskopie im Kindesalter. Dadurch gehörten Durchleuchtungsuntersuchungen mit der damals häufig durchgeführten Bronchographie naturgemäß zu seinem Arbeitsgebiet. Mit dem Wechsel nach Halle im Jahr 1964 wurde ihm daher sofort die Leitung der Kinder-Röntgenabteilung an der Uni-Kinderklinik übertragen. 1975 habilitierte er sich mit einer Arbeit zur chronischen und rezidivierenden Bronchitis und zur Lungenfunktion im Kindesalter, die auch viele Umweltdaten und somit Daten zur enormen Luftverschmutzung in der DDR einschloss. Sein radiologisches Untersuchungsspektrum umfasste neben allen üblichen Röntgen- und Durchleuchtungsuntersuchungen auch sehr selten durchgeführte Untersuchungen wie die Pneumenzephalographie und Myelographie.
1988 erfolgte in der DDR die Trennung des ehemals gemeinsamen Facharztes für Radiologie in die drei Fachgebiete Diagnostische Radiologie, Nuklearmedizin und Radiotherapie. Im Zuge einer Übergangsregelung der damaligen Zeit, die bei Nachweis von langjährig radiologischer Tätigkeit die Anerkennung als Facharzt für Diagnostische Radiologie ermöglichte, wurde Prof. Thiemann 1988 der Facharzt für Diagnostische Radiologie zuerkannt.
Sehr bekannt war sein 1986 erstmals in der DDR erschienener Handatlas zur Knochenalterbestimmung (zusammen mit Inna Nitz). Mangels Zugriff auf den Standard-Handatlas von Greulich und Pyle - ein unerschwinglich teures „West-Buch“ - wurde von ihm ein umfangreicheres Werk publiziert, mit der fünffachen Anzahl von Probanden, welches die inzwischen eingetretene Akzeleration der Kinder und Jugendlichen weit besser wiederspiegelte, als die in den 30er Jahren angefertigten Handaufnahmen des Greulich-Pyle-Atlas. Das Buch liegt inzwischen in der dritten Auflage im Thieme-Verlag vor (2006).
Zeitig interessierte sich Prof. Thiemann auch für die gerade aufkommende Ultraschalldiagnostik. Das zunächst nur den Gynäkologen vorbehaltene einzige universitäre Ultraschall-Gerät nutze er ab 1982 regelmäßig für pädiatrische Untersuchungen. Anzumerken ist, dass Prof. Volker Hofmann/Kinderchirurg, ebenfalls in Halle, der jedoch an einem katholischen Krankenhaus arbeitete, schon 1981 das erste deutschsprachige Buch zur Ultraschalldiagnostik im Kindesalter publizierte, was wohl auch Thiemann zur Ultraschalldiagnostik anregte.
Prof. Thiemann hat sowohl Kinderärzten als auch Radiologen den Start in die Kinderradiologie ermöglicht und sie auf diesem Weg ausgebildet und ermutigt. Zu seinen letzten Schülern gehörten u. a. der Leiter der Abteilung Kinderradiologie an der Uniklinik Halle und der Direktor des Instituts für Kinderradiologie an der Uniklinik Leipzig.
Bis 1995 war Professor Thiemann als Leiter der Kinderradiologie in Halle tätig, doch auch nach dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit war er der Kinderradiologie Halle über Jahrzehnte verbunden. Er hatte lange Zeit hier noch ein Emeritus-Zimmer und man konnte ihn so jederzeit um Rat fragen. Alle, die mit ihm arbeiteten, kennen auch die liebenswerten Anekdoten über ihn. So kannte fast jeder sein legendäres Universaltaschenmesser, das neben dem eigentlichen Messerzweck auch zu Gerätereparaturen aller Art zum Einsatz kam, u.a. an Röntgengeräten-meistens erfolgreich.
Wir verlieren in ihm einen bedeutenden Wegbereiter der heutigen Kinderradiologie und einen großen Mentor.
Christian Kunze, Halle
Franz Wolfgang Hirsch, Leipzig