GPR-Förderstipendium 2023 - Erfahrungsbericht

Das Förderstipendium der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR) unterstützt und fördert Kolleg:innen in der Kinder- und Jugendradiologie, die sich in einer vertiefenden Ausbildung oder wissenschaftlichen Tätigkeit befinden.

Im Rahmen der Stipendienvergabe 2023 verbrachte Frau Dr. med. Martha Dohna vom Universitätsklinikum Bonn im Februar 2024 vier Wochen am Boston Children’s Hospital der Harvard Medical School. In ihrem umfangreichen Bericht teilt sie ihre wertvollen Erfahrungen und Erkenntnisse. Im Folgenden finden Sie eine kurze Zusammenfassung.

Den vollständigen Abschlussbericht können Sie hier einsehen.   

Erfahrungsbericht

Ein herzliches Willkommen am Boston Children’s Hospital

Vier Wochen lang durfte ich Teil des Teams im Boston Children’s Hospital sein und habe mich vom ersten Moment an willkommen und wunderbar integriert gefühlt. Für meine verschiedenen Interviews hat sich jeweils die/der Chef*in der Abteilung persönlich 1-2 h Zeit genommen. Einige der Interviews habe ich per Zoom durchgeführt. Auch an den Wochenenden und abends haben wir viel zusammen unternommen, und ich wurde wie selbstverständlich mit zu den Abteilungsveranstaltungen eingeladen. Hierfür bin ich unendlich dankbar. Ich habe viel gelernt, durfte endlich einmal alles fragen, was ich schon immer einmal wissen wollte und – es gab perfekte Antworten! Meistens hatte dann eine/r des Teams eh die Referenzpublikation geschrieben, oder eine/r der ehemaligen Tutor*innen der jetzigen Attendings. Die Residents und mehr noch die Fellows habe ich als sehr offen und immer freundlich empfunden, gleichzeitig auch vielfach recht erschöpft. Der Workload ist hoch. Freundlichkeit und uneingeschränkte Patientenorientierung führen zu sehr viel positivem Feedback und zu einer sehr guten Arbeitsatmosphäre, gleichzeitig ist es natürlich auch anstrengend. Keine/r der Fellows war in dem Jahr bei einem Celtics Spiel, im Theater, in der Oper oder im Museum.

Lernchancen und Verbesserungspotenziale

Was kann ich mitnehmen, was können wir in Deutschland besser machen? Die Kommunikation habe ich als ausnahmslos positiv und wertschätzend erlebt, formuliert im BCH als „kind and responsible“. Von einem wertschätzenden Umgang mit allen Mitarbeiter*innen frei von Vorwürfen, Schuldzuweisungen und öffentlichem Vorführen würden alle Mitarbeiter profitieren. Mitarbeitermotivation führt zu besserer Arbeit und mehr Zufriedenheit aller. Hier könnten zum Beispiel Assistenzärzt*innen nicht dort eingesetzt werden, wo sie durch bereits vorhandene Expertise gute Arbeit leisten und den Vorgesetzten Arbeit abnehmen, sondern Vorgesetzte könnten ihre Ausbildungsverantwortung darin sehen, Assistenzärzte gerade auch in Teilbereichen ausbilden, die mehr Unterstützung und auch Zeit durch die Vorgesetzten erfordern. Dies sind sicherlich längerfristig gedachte Investitionen, die sich aber auszahlen. Ausbildung schafft bei Assistent*innen das Gefühl, gesehen und ernst genommen zu werden und vermittelt ihnen das Gefühl, voranzukommen und sich in einer win-win-Situation zu befinden. Gegenseitige anonyme Bewertungen, insbesondere auch down-up (Assistent*in – Oberärzt*in), halte ich für sinnvoll, da dies zu einer ständigen internen Kontrolle führt, und fachliche aber insbesondere auch zwischenmenschliche Schwachstellen aufgedeckt würden. Gleichzeitig motivieren Evaluationen alle, sich zu engagieren und sich Mühe zu geben, da Verhalten gesehen und dokumentiert wird durch die gegenseitige Bewertung sowohl up-down (Oberärzt*in – Assistent*in) als eben auch down-up. Eine solche Bewertungspolitik ist fair und transparent und führt wiederum zu mehr Teamgefühl und Mitarbeiterbindung. Sicherlich hat auch die Tatsache, dass die Lehrleistung der Mitarbeiter am BCH evaluiert und damit gesehen wird, einen positiven Einfluss auf die Ausbildung. Wären regelmäßige Evaluationen auch in Deutschland denkbar?
Ich danke der GPR sehr für die großzügige Förderung des Auslandsaufenthaltes in Boston am Boston Children’s Hospital der Harvard Medical School.

Das Boston Children’s Hospital (BCH)

Das Boston Children’s Hospital (BCH) wurde 1869 von Francis Henry Brown gegründet und befindet sich im ursprünglich armen Stadtteil Rocksbury, der heute die Longwood Medical and Academic Area beherbergt. 1903 erfolgte der Zusammenschluss mit der Harvard Medical School. Heute ist das BCH die Nummer 1 der Kinderkrankenhäuser in den USA. Es werden jährlich ca. 700.000 Patientinnen zwischen 0 und 21 Jahren behandelt. Das Krankenhaus verfügt über 485 stationäre Betten und zählt ca. 2500 ärztliche Mitarbeiterinnen, ca. 2700 Pflegerinnen und etwa 3000 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen.

Abteilung für Kinderradiologie

43 Kinderradiologische Attendings (Oberärzte), 8 Fellows (Fachärztinnen in Weiterbildung) und 10 Residents (Assistenzärztinnen) gehören zum Mitarbeiterstab der Abteilung. Fellows bewerben sich nach dem Facharzt und kommen für 1 Jahr Weiterbildung. Wichtige Kriterien für eine erfolgreiche Bewerbung sind der persönliche Eindruck, Empfehlungsschreiben, ein interessanter Lebenslauf, wissenschaftliche Vorarbeiten und sehr gute Englischkenntnisse. Residents werden von den angegliederten Krankenhäusern zugewiesen und bleiben 3 Monate.
In der Abteilung gibt es 6 Arbeitsplätze: Ultraschall, MSK, Durchleuchtung, Nuklearmedizin, Body und Neuro. Zusätzlich werden die 5 sogenannten Satellite Krankenhäuser betreut. Die Attendings haben pro Woche einen Tag Forschungsfrei. Von den Fellows wird eine Publikation aus dem Fellowship erwartet. Um Full Professor zu werden, sind etwa 200 hochkarätige Publikationen erforderlich.
Das BCH beschäftigt Child Life Specialists, die Kinder und Familien durch Untersuchungen begleiten, ablenken und beruhigen. Sie nehmen vor der Untersuchung Kontakt zur Familie auf, sind bei der Aufklärung anwesend und führen nach der Untersuchung ein Debriefing durch. Child Life Specialists durchlaufen ein 2-jähriges Studium.

Ausbildung

Ausbildung ist extrem wichtig und wird aktiv von allen Mitarbeiter*innen gelebt. Täglich finden 45 Minuten Fortbildung morgens und mittags statt. Alle bewerten sich gegenseitig wöchentlich, Ergebnisse werden alle drei Monate mitgeteilt. Jeder Fall wird über Screensharing besprochen, und Feedback findet positiv statt. Alle Fellows haben einen Mentorin, mit der/m sie nach 3 und 9 Monaten ein Gespräch führen.

Forschungszentrum: Martinos Center for Biomedical Imaging

Das Martinos Center for Biomedical Imaging ist ein großes Forschungszentrum in Charlestown, das ebenfalls zu Harvard gehört. Der Schwerpunkt der Einrichtung liegt in der neurologischen Bildgebung wie zB. der Magnetoencephalography (7T) zur Untersuchung von Patienten mit nicht kontrollierbaren Krampfanfällen, die anschließend im Mass General Hospital (Harvard) oder BCH operiert werden können. Die ersten Untersuchungen an einem 7 T MRT fanden in den 90er Jahren statt als gemeinsames Projekt von Siemens und GE. Es wurden Studien an Proband*innen mit Drogenabhängigkeit durchgeführt, um den Einfluss von Kokain auf das Gehirn zu untersuchen. Hierbei wurde den Proband*innen Kokain i.v. verabreicht während der Untersuchung. Es gibt ein 14 T MRT zur Untersuchung von kleinen Nagern.

Sonographers

In den USA werden die Ultraschalluntersuchungen von eigens dafür ausgebildeten Sonographeuren durchgeführt. Dies soll eine hohe technische Qualität garantieren und den Ärzt*innen mehr Zeit für die Befundauswertung geben. 11 Sonographers und 3 Ärzt*innen (1 Attending und 2 Fellows/Residents) befunden ca. 45 Ultraschalluntersuchungen pro Tag während der Regelarbeitszeit. Nachts gibt es einen diensthabenden Sonographer.
Die Ausbildung zum Sonographer ist entweder möglich über ein associate Programm für 2-2.5 Jahre an einem College oder aber über ein 4-jähriges Programm zum Bachelor ebenfalls an einem College. Die praktische Ausbildung dauert etwa 1 Jahr, zusätzlich muss noch antenatal-Ultraschall erlernt werden. Es gibt keine Subspezialisierung. Neu gibt es demnächst Ultrasound Practitioners, die eine etwas fundiertere medizinische Ausbildung durchlaufen und somit auch Bilder eigenständig freigeben und Fragen gezielt beantworten können.

Ombudsprogramm

Seit Januar 2022 gibt es das Ombudsprogramm direkt am BCH, vorher war dies integriert in die Harvard Medical School, die allerdings direkt neben dem BCH liegt. Das Programm steht allen Mitarbeiter*innen zur Verfügung bei Konflikten jeder Art und hat als Ziel, die Situation der hilfesuchenden Person zu verbessern. Da strikte Konfidentialität gewährt wird, greift das Programm nicht ein, sanktioniert nicht und lädt auch die Gegenseite nicht zu einem Mediationsgespräch ein, wenn dies nicht explizit gewünscht wird. Das Programm wird von einer Volljuristin geleitet, die eine zusätzliche Ausbildung in Mediation, Conflict Training und Dispute Resolution Systems hat

Clinician Support Programm

Das Programm soll Mitarbeiter*innen in Lebenskrisen wie Erkrankung, Scheidung, Tod von Angehörigen, traumatischen Patientenerlebnissen, angstbesetzten Situation wie während der Pandemie oder auch belastenden Situationen mit Mitarbeiter*innen und Vorgesetzten helfen. Einer der häufigsten Gründe für die Inanspruchnahme sind die Internes, die eine Krise erleben können, wenn sie, einmal in Harvard angekommen, nicht mehr die besten sind und zum Teil schwer mit ihrem Selbstverständnis und Selbstbewusstsein hadern.

The Secret Garden

Aufgrund der extremen physischen und psychischen Belastung der Mitarbeiter*innen des BCH während der Pandemie wurde ein rekreativer Bereich eingerichtet, der Secret Garden. Er ist nur den Mitarbeiter*innen zugänglich. Der Raum ist etwa 40 qm groß mit gedimmtem Licht, Wassermusik, Entspannungsliegen, Yogamatten und einem kleinen Paravent, hinter dem man schlafen kann auf einer Liege. Arbeitskleidung und Schuhe sind nicht erlaubt, es darf nicht gesprochen werden. Während der Arbeitszeit können bei vier unterschiedlichen Mitarbeiter*innen kostenfrei Sitzungen gebucht werden, die zwischen 10 und 30 Minuten dauern, um gut in den Arbeitsalltag integriert werden zu können. Zwei Mitarbeiterinnen bieten Klangtherapie an, die sie gemeinsam veranstalten. Es gibt zusätzlich Aromatherapie, Yoga und Reiki-Massage. Ich habe alles gebucht und war begeistert.