GPR-Jahrestagung im Rahmen der DGKJ-Jahrestagung, 7.-10.9.22 in Düsseldorf
MRT-Studie aus Essen: Strukturierte, neurologische Nachsorge und Frühförderung der betroffenen, sehr frühgeborenen Kinder
Über einen Zeitraum von zehn Jahren wurden am Universitätsklinikum Essen MRT-Daten und klinische Daten von extrem unreifen Frühgeborenen gesammelt. Auf der DGKJ-Jahrestagung stellen das Team um PD Dr. Selma Sirin (Abteilung für Bilddiagnostik, Universitäts-Kinderspital Zürich), Dr. Bernd Schweiger (Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie, Universitätsklinikum Essen) und Dr. Karla Drommelschmidt (Klinik für Kinderheilkunde I, Neonatologie, Universitätsklinikum Essen) ihre Arbeit vor.
Welche Kinder gelten als sehr frühgeboren und welche häufigen Komplikationen treten bei diesen auf?
Dr. Karla Drommelschmidt privatK. Drommelschmidt: Definitionsgemäß spricht man von einer Frühgeburt, wenn ein Neugeborenes vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche geboren wird. Von einem extrem unreifen Frühgeborenen spricht man, wenn ein Kind vor der 32. Schwangerschaftswoche, also deutlich zu früh, geboren wird. Insbesondere extrem unreife Frühgeborene haben aufgrund der Unreife ein hohes Risiko für eine Schädigung verschiedener Organsysteme. Neben den Lungen, dem Darm, und den Augen ist besonders das Gehirn häufig betroffen. Extrem unreife Frühgeborene haben, trotz der deutlichen Fortschritte in der neonatologischen Versorgung, weiterhin ein hohes Risiko für neurologische Defizite. Abhängig von dem Schädigungsmuster und der Ausprägung kann ein breites Spektrum an neurologischen Defiziten von Konzentrationsstörungen bis zu schweren Behinderungen auftreten, die teilweise bis in das Erwachsenenalter relevant sein können.
Wird oder sollte eine MRT-Untersuchung standardmäßig bei sehr kleinen Frühgeborenen durchgeführt werden?
S. Sirin: Im Universitätsklinikum Essen wird routinemäßig eine MRT-Untersuchung des Kopfes bei allen extrem unreifen Frühgeborenen oder bei einem Geburtsgewicht unter 1500g am errechneten Termin durchgeführt, weil Studien (u.a. veröffentlicht im NEJM) gezeigt haben, dass diese Untersuchungen eine prognostische Einschätzung des neurologischen Outcomes im weiteren Leben dieser Frühgeborenen ermöglichen.
Welche Voraussetzungen muss ein Standort erbringen, um solche Untersuchungen durchführen zu können?
PD Dr. Selma Sirin privat
B. Schweiger: Neonatale Untersuchungen des Kopfes sollten möglichst an 3-Tesla-MRT-Geräten mit explizit an den hohen Wassergehalt des Säuglingskopfes angepassten Sequenzen durchgeführt werden. MRT-kompatible Inkubatoren, wie in unserer Studie eingesetzt, können hilfreich sein, sind jedoch keine notwendige Voraussetzung. Da sich die normale Morphologie und auch die Pathologie des Gehirns von Früh- und Neugeborenen erheblich von der von Erwachsenen unterscheidet, ist es sehr wichtig, dass die Beurteilungen dieser Untersuchungen von Kinderradiolog:innen durchgeführt werden, um wichtige Befunde nicht zu übersehen oder fehl zu interpretieren.
Warum wird die MRT-Untersuchung am errechneten Termin durchgeführt?
K. Drommelschmidt: Die Untersuchungen werden am errechneten Termin durchgeführt, da es eine gute Studienlage gibt, die zeigen konnte, dass MRT-Untersuchungen zu diesem Zeitpunkt, an dem die Neugeborenen erst geboren werden würden, eine Einschätzung der Prognose des späteren neurologischen Outcomes ermöglichen kann.
Welche Diagnosen traten bei den Untersuchungen am häufigsten auf?
S. Sirin: Intraventrikuläre Hirnblutungen sind eine der häufigsten (17,6%) und, abhängig von dem Schweregrad der Blutung, eine der klinisch relevantesten Diagnosen, die wir in unserem Kollektiv gesehen haben. Zusätzlich wurden bei 10,5% der frühgeborenen Kinder Blutungen im Kleinhirn detektiert. Weiter zu erwähnen sind pathologische Veränderungen der weißen Substanz (exemplarisch punktförmige Gliosen, sogenannte „punctate lesions“ bei 18,1%) des Gehirnes und Erweiterungen des Ventrikelsystems. Glücklicherweise sind die früher häufiger detektierten zystischen Veränderungen der weißen Substanz, die periventrikuläre Leukenzephalopathie (PVL), resultierend in einer Cerebralparese, heutzutage selten geworden. In unserem Kollektiv zeigten 3,4% der Kinder Zysten im Rahmen einer PVL.
Welche Bedeutung hat die MRT-Untersuchung am errechneten Termin für die Gesundheit der sehr Frühgeborenen?
Dr. Bernd Schweiger privatB. Schweiger: Die MRT-Untersuchung erlaubt, im Vergleich zur Sonographie, eine genauere Einschätzung des neurologischen Ausgangsbefundes zum Zeitpunkt des ursprünglich errechneten Geburtstermins und dient als Basis zur Planung der strukturierten, neurologischen Nachsorge und Frühförderung der extremen Frühgeborenen. Um gezielte Hilfsangebote und Therapiekonzepte für die Familien zu initiieren, ist es sehr wichtig frühzeitig das Schädigungsmuster einer Hirnpathologie exakt zu detektieren.
Welche weiteren Schritte sind geplant? Können die erhobenen Daten und Ergebnisse für weitere Studien genutzt werden?
S. Sirin: Die Daten dieser Studie wurden in Kooperation der Radiologie mit der Neonatologie des Universitätsklinikums Essen erhoben und bilden die Grundlage zu weiterführenden klinisch-radiologischen Auswertungen, insbesondere auch eine weiterführende Korrelation der MRT-Daten zu klinischen Parametern und dem späteren neurologischen Outcome der Patienten. Exakte Inzidenzen an einem konsekutiv durchgeführten Patientenkollektiv bieten eine fundierte Basis und Vergleichbarkeit, auch für folgende Interventionsstudien.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus Ihren Untersuchungen für die klinische Neonatologie und die Versorgung der Frühgeborenen?
K. Drommelschmidt: Aktuell dienen die Ergebnisse vor allem der Planung einer strukturierten, neurologischen Nachsorge und Frühförderung der betroffenen, sehr frühgeborenen Kinder. Wir erhoffen uns durch eine weiterführende Auswertung der Daten, frühestmöglich Risikokonstellationen bei den Kindern aufzudecken, um gefährdete Kinder zu detektieren, und in letzter Konsequenz zu schützen. Betroffene Kinder können gezielter gefördert und unterstützt werden. Hierfür sind die MRT-Untersuchungen ein wichtiger Baustein.
Abstract: Inzidenz pathologischer MRT-Befunde in einem großen Kollektiv sehr kleiner Frühgeborenen am errechneten Termin: Ergebnisse einer unizentrischen Studie über 10 Jahre. Samstag, 10.09.2022 9:31 Uhr
Welche Kinder gelten als sehr frühgeboren und welche häufigen Komplikationen treten bei diesen auf?
Dr. Karla Drommelschmidt privatK. Drommelschmidt: Definitionsgemäß spricht man von einer Frühgeburt, wenn ein Neugeborenes vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche geboren wird. Von einem extrem unreifen Frühgeborenen spricht man, wenn ein Kind vor der 32. Schwangerschaftswoche, also deutlich zu früh, geboren wird. Insbesondere extrem unreife Frühgeborene haben aufgrund der Unreife ein hohes Risiko für eine Schädigung verschiedener Organsysteme. Neben den Lungen, dem Darm, und den Augen ist besonders das Gehirn häufig betroffen. Extrem unreife Frühgeborene haben, trotz der deutlichen Fortschritte in der neonatologischen Versorgung, weiterhin ein hohes Risiko für neurologische Defizite. Abhängig von dem Schädigungsmuster und der Ausprägung kann ein breites Spektrum an neurologischen Defiziten von Konzentrationsstörungen bis zu schweren Behinderungen auftreten, die teilweise bis in das Erwachsenenalter relevant sein können.
Wird oder sollte eine MRT-Untersuchung standardmäßig bei sehr kleinen Frühgeborenen durchgeführt werden?
S. Sirin: Im Universitätsklinikum Essen wird routinemäßig eine MRT-Untersuchung des Kopfes bei allen extrem unreifen Frühgeborenen oder bei einem Geburtsgewicht unter 1500g am errechneten Termin durchgeführt, weil Studien (u.a. veröffentlicht im NEJM) gezeigt haben, dass diese Untersuchungen eine prognostische Einschätzung des neurologischen Outcomes im weiteren Leben dieser Frühgeborenen ermöglichen.
Welche Voraussetzungen muss ein Standort erbringen, um solche Untersuchungen durchführen zu können?
PD Dr. Selma Sirin privat
B. Schweiger: Neonatale Untersuchungen des Kopfes sollten möglichst an 3-Tesla-MRT-Geräten mit explizit an den hohen Wassergehalt des Säuglingskopfes angepassten Sequenzen durchgeführt werden. MRT-kompatible Inkubatoren, wie in unserer Studie eingesetzt, können hilfreich sein, sind jedoch keine notwendige Voraussetzung. Da sich die normale Morphologie und auch die Pathologie des Gehirns von Früh- und Neugeborenen erheblich von der von Erwachsenen unterscheidet, ist es sehr wichtig, dass die Beurteilungen dieser Untersuchungen von Kinderradiolog:innen durchgeführt werden, um wichtige Befunde nicht zu übersehen oder fehl zu interpretieren.
Warum wird die MRT-Untersuchung am errechneten Termin durchgeführt?
K. Drommelschmidt: Die Untersuchungen werden am errechneten Termin durchgeführt, da es eine gute Studienlage gibt, die zeigen konnte, dass MRT-Untersuchungen zu diesem Zeitpunkt, an dem die Neugeborenen erst geboren werden würden, eine Einschätzung der Prognose des späteren neurologischen Outcomes ermöglichen kann.
Welche Diagnosen traten bei den Untersuchungen am häufigsten auf?
S. Sirin: Intraventrikuläre Hirnblutungen sind eine der häufigsten (17,6%) und, abhängig von dem Schweregrad der Blutung, eine der klinisch relevantesten Diagnosen, die wir in unserem Kollektiv gesehen haben. Zusätzlich wurden bei 10,5% der frühgeborenen Kinder Blutungen im Kleinhirn detektiert. Weiter zu erwähnen sind pathologische Veränderungen der weißen Substanz (exemplarisch punktförmige Gliosen, sogenannte „punctate lesions“ bei 18,1%) des Gehirnes und Erweiterungen des Ventrikelsystems. Glücklicherweise sind die früher häufiger detektierten zystischen Veränderungen der weißen Substanz, die periventrikuläre Leukenzephalopathie (PVL), resultierend in einer Cerebralparese, heutzutage selten geworden. In unserem Kollektiv zeigten 3,4% der Kinder Zysten im Rahmen einer PVL.
Welche Bedeutung hat die MRT-Untersuchung am errechneten Termin für die Gesundheit der sehr Frühgeborenen?
Dr. Bernd Schweiger privatB. Schweiger: Die MRT-Untersuchung erlaubt, im Vergleich zur Sonographie, eine genauere Einschätzung des neurologischen Ausgangsbefundes zum Zeitpunkt des ursprünglich errechneten Geburtstermins und dient als Basis zur Planung der strukturierten, neurologischen Nachsorge und Frühförderung der extremen Frühgeborenen. Um gezielte Hilfsangebote und Therapiekonzepte für die Familien zu initiieren, ist es sehr wichtig frühzeitig das Schädigungsmuster einer Hirnpathologie exakt zu detektieren.
Welche weiteren Schritte sind geplant? Können die erhobenen Daten und Ergebnisse für weitere Studien genutzt werden?
S. Sirin: Die Daten dieser Studie wurden in Kooperation der Radiologie mit der Neonatologie des Universitätsklinikums Essen erhoben und bilden die Grundlage zu weiterführenden klinisch-radiologischen Auswertungen, insbesondere auch eine weiterführende Korrelation der MRT-Daten zu klinischen Parametern und dem späteren neurologischen Outcome der Patienten. Exakte Inzidenzen an einem konsekutiv durchgeführten Patientenkollektiv bieten eine fundierte Basis und Vergleichbarkeit, auch für folgende Interventionsstudien.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus Ihren Untersuchungen für die klinische Neonatologie und die Versorgung der Frühgeborenen?
K. Drommelschmidt: Aktuell dienen die Ergebnisse vor allem der Planung einer strukturierten, neurologischen Nachsorge und Frühförderung der betroffenen, sehr frühgeborenen Kinder. Wir erhoffen uns durch eine weiterführende Auswertung der Daten, frühestmöglich Risikokonstellationen bei den Kindern aufzudecken, um gefährdete Kinder zu detektieren, und in letzter Konsequenz zu schützen. Betroffene Kinder können gezielter gefördert und unterstützt werden. Hierfür sind die MRT-Untersuchungen ein wichtiger Baustein.
Abstract: Inzidenz pathologischer MRT-Befunde in einem großen Kollektiv sehr kleiner Frühgeborenen am errechneten Termin: Ergebnisse einer unizentrischen Studie über 10 Jahre. Samstag, 10.09.2022 9:31 Uhr